Anders (Band 1-4) by Wolfgang & Heike Hohlbein

Anders (Band 1-4) by Wolfgang & Heike Hohlbein

Autor:Wolfgang & Heike Hohlbein
Die sprache: deu
Format: epub


6

Oberon erhörte Morgens Gebete nicht; zumindest nicht innerhalb der nächsten halben Stunde. Morgen hatte sich in ihre Gemächer zurückgezogen, um ihre Hand versorgen zu lassen, und Lara hatte sie begleitet, während Kris unverzüglich auf die Mauer hinaufgeeilt war; zusammen mit Anders. Er war allerdings nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee gewesen war. Selbst vorhin, als die Elder ihm unterstellt hatte, er hätte Angst, war er innerlich noch ein wenig empört gewesen, aber nun gestand er sich unumwunden ein, dass sie Recht hatte. Er hatte Angst.

Und er hatte auch allen Grund dazu.

Das Heer der Angreifer hatte in zwei- oder dreihundert Metern Entfernung vor der Burg angehalten - gerade außer Pfeilschussweite, vermutete Anders - und er hätte eigentlich beruhigt sein müssen, denn er sah jetzt, dass er sich kräftig verschätzt hatte, was die Größe des feindlichen Heeres anging. Staub und das grelle Gegenlicht der Sonne und vor allem wahrscheinlich seine eigene Nervosität hatten

ihm eine weitaus größere Zahl vorgegaukelt, als es der Realität entsprach. Die Armee der Wilden zählte eher nach Hunderten als nach Tausenden, wie er im allerersten Moment angenommen hatte - was nichts daran änderte, dass sie den Verteidigern mindestens um das Zehnfache überlegen waren. Und was ihnen an Zahl fehlte, das machten sie an Größe und Abscheulichkeit wieder wett. Was die Größe anging, die meisten. In puncto Abscheulichkeit alle.

»Ich verstehe nicht, worauf sie warten«, murmelte Kris nervös.

»Geht es dir nicht schnell genug?«, fragte Anders. Er versuchte seiner Stimme einen spöttischen Klang zu verleihen, aber es misslang ebenso kläglich wie der Versuch eines Grinsens.

Kris blieb auch vollkommen ernst, als er den Kopf schüttelte. »So etwas haben sie noch nie getan. Sie scheinen auf etwas zu warten. Aber worauf?«

»Vielleicht auf Verstärkung?«

Kris schüttelte abermals den Kopf. »Das würde Sinn ergeben, wenn das da draußen Menschen wären oder Elder«, sagte er. »Aber das da sind...« Er suchte einen Moment vergeblich nach Worten und hob schließlich die Schultern. »Wilde eben.«

Anders hätte ein anderes Wort gewählt, doch er verzichtete darauf, den jungen Krieger zu verbessern.

Vorhin, als sie sich mitten unter den monströsen Angreifern befunden und um ihr Leben gekämpft hatten, war alles viel zu schnell gegangen, er hatte kaum mehr begriffen als die bloße Tatsache, dass ihre Gegner wild und größtenteils riesig waren und offensichtlich entschlossen sie umzubringen. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr daran, welcher Art von Feind sie gegenüberstanden.

Es waren genau die Geschöpfe, die er bisher vermisst hatte: die Riesen, Zwerge, Gnome und Trolle, die Wiedergänger und Nachtmahre, Werwölfe und Leprechauns... Was da zum Sturm auf die Torburg angesetzt hatte, das war die dunkle Seite der Legenden, aus denen die Bewohner dieser Welt kamen. Das Puzzle war komplett. Anders war nur nicht ganz sicher, ob ihm diese Erkenntnis noch viel nutzen würde. Auch wenn die Übermacht vielleicht doch nicht so erdrückend war, wie es bisher den Anschein gehabt hatte, gab es am Ausgang der Schlacht doch kaum einen Zweifel. Die Burg würde nicht standhalten.

»Das macht überhaupt keinen Sinn«, fuhr Kris in besorgtem Ton fort. »Ich an ihrer Stelle würde sofort angreifen - bevor die Verstärkung aus Tiernan hier ist.



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